Datenkompetenz fördern!
Ein Gespräch mit Branchenexperte Hartmut Scheffler
Datenkompetenz? Klingt nach einem wichtigen Wort, aber was genau verbirgt sich dahinter? Wir haben einen Experten für Daten und Marktforschung gebeten, zu erklären, was dieser etwas abstrakte Begriff „Datenkompetenz“ eigentlich bedeutet. Als ehemaliger Vorsitzender des ADM (Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute e.V.) und Geschäftsführer bei Kantar ist Hartmut Scheffler mit dem verantwortungsvollen Umgang mit Daten bestens vertraut. Über viele Jahre verantwortete er die Erhebung und Auswertung von Daten und berät heute freiberuflich verschiedene Marktforschungsinstitute und Start-ups.
Herr Scheffler, auf den Punkt gebracht: Was genau bedeutet Datenkompetenz?
Datenkompetenz bedeutet, sich bewusst zu machen, dass Daten auch missbraucht und für individuelle Zwecke verfälscht, fehlinterpretiert oder gefaked werden können. Sich darüber im Klaren zu sein, dass Daten nicht per se richtig oder falsch sind. Datenkompetenz ist die kritische Nutzung von Daten, Informationen und Behauptungen, die auf Daten basierten.
Also frei nach dem Motto: Traue keiner Statistik, die du selbst gefälscht hast?
Eher sollte es heißen: Traue keiner Information ohne Quellenangabe! Wer mit Daten argumentiert und arbeitet, muss Transparenz liefern: Von wem stammen die Daten? Wann sind sie erhoben worden? Wie sind sie erhoben worden? Wer hat die Daten erhoben und genutzt und sind die Informationen vollständig? Wenn jeder im Zusammenhang mit Daten nicht blind glaubt, sondern nachdenkt und hinterfragt, wäre das gelebte Datenkompetenz.
Können Sie hierzu ein Beispiel aus unseren Medien nennen?
Ein Beispiel fällt mir dazu ein: Die vor fünf oder sechs Jahren durchgeführte EU-Umfrage zur Umstellung der Zeit. Bei der Umstellung auf die Winterzeit geht lautet der jährlich O-Ton aller Medien, dass diese Studie eindeutig ermittelt habe, dass die Bevölkerungsmehrheit gegen eine Umstellung ist. Häufig wurde auch noch behauptet, die Bevölkerung sei für die Standardzeit, also dauerhaft für die Winterzeit.
Was dabei nicht erzählt wird: Bei dieser Umfrage wurde eine Plattform bereitgestellt, auf der jeder, der seine Meinung kundtun wollte, dies tun konnte – sogar Mehrfachnennungen waren möglich. Natürlich meldeten sich deutlich mehr Kritiker der Zeitumstellung als Menschen, die mit der Zeitumstellung einverstanden sind. Von mehreren Millionen Antworten kam die mit Abstand überwiegende Mehrzahl aus Deutschland. Kurzum: mit einer EU-weiten REPRÄSENTATIVEN Befragung hatte dies nichts zu tun.
Was waren die Fehler?
Erstens hat man die Untersuchung nicht repräsentativ angelegt. Antworten konnte, wer wollte. Damit hatte sie keine Aussagekraft für die Meinung der Bevölkerung in Deutschland oder in Europa. Zum zweiten wurde als Qualitätskriterium immer wieder darauf verwiesen, dass mehrere Millionen Teilnehmer geantwortet hätten. Masse ist aber kein Kriterium für Klasse.
Genau aus diesem Grund reicht uns in der Markt- und Sozialforschung die so genannte repräsentative Stichprobe, also eine relativ kleine Zahl von Befragten (z. B. 1.000), aus der dann auf die gesamte Bevölkerung hochgerechnet werden kann.
Beim Thema Zeitumstellung wird also Jahr für Jahr eine völlig ungeeignete Abstimmung von den Medien als Argument herangezogen, um eine entsprechende politische Entscheidung herbeizuführen.
Es geht also beim Thema Datenkompetenz um viel?
Ja, denn es geht um die grundsätzliche Glaubwürdigkeit von Daten, das grundsätzliche Vertrauen in Daten und, wie schon gesagt, um eine Basis für eine offene Informationsgesellschaft. Unsere Demokratie geht von dem Ideal eines mündigen Bürgers aus. In Zeiten des Datenüberflusses muss der mündige Bürger jedoch auch immer der informierte Bürger sein. Gerade durch die sozialen Medien bahnen sich Fakenews und Manipulation ihren Weg sehr viel leichter und immer häufiger. Ein Bürger, der mangels Datenkompetenz falsch informiert, irregeleitet und belogen werden kann, ist streng genommen kein mündiger Bürger. Fakenews werden jedoch weniger erfolgreich sein, wenn sie auf datenkompetente Menschen stoßen, die sie hinterfragen und sich nicht so schnell irreführen lassen. Die wichtigste Erkenntnis ist also: Datenkompetenz ist eine unersetzbare Grundlage für wirklich mündige Bürger als Voraussetzung einer funktionierenden Demokratie.
Vielen Dank für dieses Interview, Herr Scheffler!