„Qualitative Marktforschung untersucht, warum Menschen so handeln wie sie handeln.“
Interview mit Ute Wetzlar von Quovadis
Wenn es jemand schafft, das Thema Marktforschung mit spannenden Geschichten aufzuladen und Menschen dafür zu begeistern, dann ist das Ute Wetzlar. Ute Wetzlar ist Geschäftsführerin der Quovadis field & tab GmbH, einem der größten deutschen Teststudio-Betreiber. Bevor sie in den kommenden Wochen für uns aus dem Nähkästchen plaudert und die verrücktesten Stories und Erkenntnisse aus ihrer jahrzehntelangen Arbeit für weltbekannte Marken mit uns teilt, betreiben wir im heutigen Interview erst einmal wichtige Grundlagenarbeit. Im Fokus steht die qualitative Marktforschung.

Frau Wetzlar, was ist überhaupt qualitative Marktforschung?
Und warum ist sie so wichtig, dass wir ihr einen Beitrag in unseren News widmen?
Ute Wetzlar: Qualitative Marktforschung erklärt man am besten, indem man sie von der quantitativen Marktforschung abgrenzt. Quantitative Marktforschung ist die Marktforschung der Zahlen, statistischer Werte und Prozente. Man kennt es aus Studienergebnissen in den Nachrichten: Dreißig Prozent der unter 25-Jährigen trinken lieber Erfrischungsgetränk X als Erfrischungsgetränk Y.
Dem gegenüber steht die qualitative Marktforschung, deren Zielsetzung es ist, Meinungen, Eindrücke oder auch Motivationen für Handlungen herauszufinden. Man untersucht, was Menschen dazu bewegt, so zu konsumieren, zu entscheiden und zu handeln, wie sie es tun. Die qualitative Forschung ist deshalb so wichtig, weil sie darauf basiert, dass die Befragten sich oft erst durch die gezielte Befragung ihrer Motive bewusstwerden, warum sie Produkte verwenden. Idealerweise sollte die qualitative Marktforschung immer eine Vorstufe der quantitativen Marktforschung sein.
Allerdings funktioniert qualitative Marktforschung auch sehr eigenständig, ohne dass quantitative Marktforschung im Anschluss nötig ist.
Wann wird die qualitative Marktforschung angewendet?
Ute Wetzlar: Qualitative Marktforschung wird immer dann angewendet, wenn man bei einem neuen Thema noch nicht so genau weiß, in welche Richtung es gehen soll. Wenn es also notwendig ist, ergebnisoffen an ein Projekt heranzugehen, um erst einmal Meinungen, Vorstellungen, Tendenzen, Ideen zu sammeln, diese zu kanalisieren und daraus Schlüsse zu ziehen.
Auch Kostengründe können dazu führen, dass Auftraggeber sich für qualitative Marktforschung entscheiden. Im Vergleich zu einer großen Stichproben-Erhebung mit fünfhundert bis tausend Teilnehmern, sind zwei erkenntnisreiche Gruppendiskussionen oft günstiger.
Können Sie den Unterschied zwischen qualitativer und quantitativer Forschung an einem Beispiel erklären?
Ute Wetzlar: Ganz verkürzt gesprochen ist quantitative Marktforschung Standardisierung und Statistik, während qualitative Marktforschung eine offene Herangehensweise an das zu untersuchende Material ist. Das sind zwei komplett getrennte Paar Schuhe.
Mein Beispiel: Eine Light Mayonnaise soll auf den Markt gebracht werden. Nun kann man fünfhundert oder tausend Leuten diese Light Mayonnaise vorsetzen und sie dazu befragen, wie sie ihnen schmeckt, wie der Salzgehalt, Textur und Farbe gefallen.
Bevor man das jedoch macht, sollte man mittels qualitativer Marktforschung erstmal herausfiltern, wer überhaupt zur Zielgruppe gehört. Sind das nur Menschen, die kalorienbewusst leben? Jüngere oder ältere Menschen? Würden Befragte die Mayonnaise eher im Salat verwenden oder zu Pommes?
Durch die ergebnisoffene Herangehensweise erhält der Hersteller viele Antworten auf seine Fragen und erkennt, in welche Richtung er sein Produkt entwickeln muss, welche Zielgruppe für ihn ausscheidet usw. Aus diesen Erkenntnissen lässt sich ein Konzept entwickeln, das man im Anschluss mittels quantitativer Marktforschung abfragt.
Welche Vorteile bietet qualitative Marktforschung versus quantitative Marktforschung?
Ute Wetzlar: Qualitative Marktforschung gibt Inhalte, quantitative Marktforschung gibt Sicherheit. Das sind objektiv die jeweiligen Vorteile beider Ansätze.
Ein klarer Vorteil für Auftraggeber, die wenig über die Bedürfnisse ihrer Kunden wissen, bietet die qualitative Marktforschung. Sie findet heraus, wo Schwellen sind, die überwunden werden müssen, um ihr Produkt erfolgreich einführen zu können.
Quantitative Marktforschung gibt den Auftraggebern dagegen erstmal mehr Sicherheit im Sinne von „Zahlen lügen nicht“. Aber selbstverständlich liefert diese Zahlen viele Erkenntnisse und sind für viele Kunden Grundlage für wichtige Entscheidungen.
Welche Methoden kommen für die qualitative Marktforschung in Frage?
Ute Wetzlar: Unsere Kunden können hier zwischen mehreren Methoden wählen: die Palette reicht von Gruppendiskussionen, Tiefeninterviews, über Beobachtungen, In-Homes bis hin zu Mystery Shopping.
Die am häufigsten angewendeten Methoden sind Gruppendiskussionen und Einzelinterviews. Diese finden klassischerweise in einem Teststudio statt. Durch Corona hat sich auch hier viel in die Online-Welt verschoben, aber inzwischen kehren die meisten Kunden in die Teststudios zurück.
Auch sogenannte „In-Homes“ erfreuen sich nach vor einer gewissen Beliebtheit. Hier werden die Testpersonen vom Interviewer/Forscher zu Hause besucht und in ihrem Alltagsumfeld interviewt. Das kann bei vielen Themen Sinn machen, wenn es z.B. um das Kochen geht oder auch um Möbel.
Eine weitere Methode der qualitativen Marktforschung ist das ethnografische Interview. Hierbei beobachten Forscher einzelne Personen oder Familien über einen langen Zeitraum, teilweise sogar über mehrere Tage, bei allen ihren Handlungen und befragen sie dazu. In diesem Zeitraum kann es sogar vorkommen, dass sie bei den Studienteilnehmern, um ein Gesamtbild aus deren Alltag zu erhalten.
Dann gibt es noch Beobachtungen am POS (Point of Sale). Dabei postiert sich ein Forscher z.B. vor einem Brotregal im Supermarkt und beobachtet, wie Menschen ihr Brot aussuchen, wie schnell sie es finden, ob sie auf Preis schauen, auf Wettbewerbsprodukte, ob sie sich für eine bestimmte Ware strecken oder bücken, um sie zu finden. Ideal ist die Kombination aus erst einmal beobachten und anschließend befragen.
Da Regaltests in deutschen Supermärkten gerade für kleinere Auftraggeber oftmals an Genehmigungen und Mechanismen im deutschen Handel scheitern, finden sie auch oft in Teststudios statt. Dann werden im Studio die Regale nachgebaut.
Warum eignen sich gerade Teststudios für qualitative Marktforschung?
Ute Wetzlar: Teststudios wurden erfunden, um Tests in absolut neutraler Atmosphäre durchführen zu können, isoliert von äußeren Einflüssen. Bei Befragungen von Tür zu Tür, in Geschäften oder Shopping-Malls herrscht immer viel Ablenkung von außen. Dabei erfordern gerade komplexe oder sensible Themen einen geschützten Raum mit neutraler Atmosphäre, auch wenn es um sehr persönliche Fragen oder heikle Themen, zum Beispiel aus dem medizinischen Bereich, oder um Hygieneartikel geht.
Unsere Teststudios sind sehr groß und in ihre Einrichtung kann variabel gestaltet werden. Die Palette reicht von komplett neutral bis sehr wohnlich und atmosphärisch. Sie bieten Raum für Interviews und Diskussionen, aber auch umfangreiche Flächen, um die Einkaufswelten sämtlicher bekannter Supermarkt- und Drogerieketten nachzubauen.
Teststudios eignen sich sowohl für die qualitative als auch für die quantitative Marktforschung, sind aber gerade für die qualitative Markforschung eine große Bereicherung. Während wir die Studios in der quantitativen Forschung vor allem für die sensorische Abfragen nutzen, also wie etwas schmeckt, riecht, aussieht, sich anfühlt oder anhört, werden für die qualitativen Projekte vor allem große Konferenzräume mit einem Einwegspiegel benötigt, wo der Auftraggeber die Projekte verfolgen kann.
Forscher und Auftraggeber sitzen dort hinter einer verspiegelten Glaswand und beobachten die Testpersonen, beziehungsweise ihr Verhalten. Alle Bereiche des Studios werden gefilmt, gedolmetscht und gestreamt für eine umfassende Auswertung. Diese technischen Möglichkeiten hat man letztlich nur in einem Teststudio.
Liebe Frau Wetzlar, vielen Dank für das ausgiebige Interview!
Für alle Faktenchecker:
Wir haben sämtliche Infos aus dem Interview nochmal in Kurzform für euch zusammengefasst.
Unterschied zwischen quantitativer und qualitativer Marktforschung:
- Quantitative Forschung funktioniert standardisiert und ermittelt in Prozent messbare Ergebnisse
- Qualitative Forschung funktioniert ergebnisoffen und ermittelt Meinungen, Tendenzen, Kaufentscheidungen
- Beide Ansätze sind zwei komplett verschiedene Paar Schuhe, können aber miteinander kombiniert werden, um maximale Erkenntnisse zu gewinnen
Vorteile qualitativer vs. quantitativer Marktforschung:
- Qualitative Marktforschung gibt Inhalte.
- Quantitative Marktforschung gibt (vermeintliche) Sicherheit.
Methoden der qualitativen Marktforschung:
- Einzelinterviews
- Gruppendiskussionen
- Teststudios
- Beobachtungen (am POS oder im Teststudio)
- Experteninterviews
- Mystery Shopping
- In-Homes
- Ethnografische Interviews
Warum eignen sich gerade Teststudios für qualitative Marktforschung?
- Teststudios bieten eine neutrale Atmosphäre, isoliert von äußeren Einflüssen
- Insbesondere bei komplexen oder sensiblen Themen ist ein geschützter Raum wichtig