„Es wird weiterhin Menschen in der MaFo brauchen!“ Ein Interview über die Trends in der Marktforschung 2024
Sebastian Schmidt von SKOPOS Elements
Wir werfen mal wieder einen Blick hinter die Kulissen der Marktforschungsbranche. Heute mit Sebastian Schmidt, Managing Director und Co Founder von SKOPOS Elements.
Im Interview erfahren wir von ihm, welche Trends die Branche derzeit prägen und welche Herausforderungen und Chancen sich für die Zukunft abzeichnen. Außerdem erzählt er, wie SKOPOS Elements mit aktuellen Entwicklungen umgeht und welche Rolle die menschliche Perspektive in einer zunehmend technologisierten Branche spielt. Ihr dürft gespannt sein!
Lieber Sebastian, welche bedeutenden Trends zeichnen sich deiner Meinung nach derzeit in der Marktforschungsbranche ab?
Neben dem großen Trend Künstliche Intelligenz (KI), über den wir sicher noch sprechen werden, erkenne ich aktuell drei Trends, zwischen denen ich unterscheiden würde. Sie alle sind aber nicht wirklich neu, sondern eher eine Fortsetzung vorhandener Trends.
Ok, dann starten wir direkt mit Trend Nummer eins:
Was wir sehr stark bei SKOPOS beobachten, ist ein Verschmelzen der Grenzen zwischen Marktforschung und anderen Dienstleistungen. Nehmen wir zum Beispiel die Forschung in den Bereichen User Experience (UX), Costumer Experience (CX) und Employee Experience (EX). Diesen Aufgabenfeldern liegt im Prinzip genau der gleiche Ansatz zugrunde wie in der MaFo: Nämlich die Frage, was Menschen dazu antreibt, bestimmte Marken, Produkte und Services zu kaufen und warum sie sich entscheiden, wie sie sich entscheiden. Einerseits ist dieses Ineinanderfließen unserer Dienstleistungen total cool, weil es vieles für uns besser machen kann, gleichzeitig ist es aber auch eine Herausforderung für die Marktforschungsverbände, weil es schwer wird, zwischen den einzelnen Kompetenzbereichen abzugrenzen.
Welches ist der zweite Trend, den ihr bei SKOPOS wahrnehmt?
Ein zweiter Trendspot liegt auf dem Thema Datenqualität. Das wird gerade sehr konkret diskutiert in Bezug auf Online-Panel-Befragungen. Wir müssen hier weiter verstehen „Wen befragen wir da eigentlich?“ Denn in den letzten Jahren haben wir uns in der Forschung immer weiter von den Personenen entfernt, die uns hoffentlich ehrlich Antwort geben. Der Preisdruck im Markt und die Möglichkeit von fingierten Interviews sind Warnsignale. Das wird definitiv ein Thema, dem wir uns intensiv widmen werden.
Bleibt noch der dritte Marktforschungstrend für 2024.
Der dritte Trend, der sich fortschreitend abzeichnet, gibt mir persönlich Anlass zur Sorge. Denn er betrifft die aktuelle Entwicklung unserer Gesellschaft.
Die zunehmende Polarisierung und auch das Misstrauen in Institutionen kann bald auch so weit gehen, dass wir bestimmte Bevölkerungsgruppen – auch für Befragungen – gar nicht mehr erreichen, weil ihre Vorbehalte schon so groß sind. Da fallen dann Aussagen wie: „Das ist doch das Establishment, da kann ich meine Meinung ja eh nicht äußern“, oder „das stimmt doch alles nicht, was die mir erzählen.“ Genau diese Haltung führt dazu, dass wir diese Menschen für den Dialog verlieren und kein Diskurs mehr möglich ist.
Hat das weiteren Einfluss auf eure Arbeit in der Marktforschung?
Neben dieser Polarisierung sehen wir in der Gesellschaft natürlich auch Verunsicherung: „Was darf ich eigentlich noch sagen?“ oder „Kann ich noch meine freie Meinung äußern?“. Wir Marktforscher nennen diese Antworten, die sich an sozialen Normen orientieren, „sozial erwünschte Antworten“. Davon werden wir in Zukunft mehr sehen. Man denke an Themen wie fleischlose Ernährung. Hier wird es für uns als Marktforschende noch herausfordernder werden, Verhalten richtig antizipieren zu können.
Gibt es auch positive Entwicklungen der letzten Jahre in der Marktforschungslandschaft?
Auf jeden Fall! Aus meiner Sicht ist die MaFo-Landschaft deutlich bunter geworden, was ich sehr positiv finde. Bunter im Sinne der bereits erwähnten ineinanderfließenden Grenzen. Mehr Vielfalt und mehr Weitwinkel, statt Fokussierung auf Teilbereiche. Früher endete unsere MaFo-Arbeit mit dem Abliefern unserer Befragungsergebnisse. An der anschließenden Entscheidungsfindung waren wir dann nicht mehr beteiligt. Heute geht alles viel organischer ineinander über. Das ist total spannend und macht unheimlich viel Spaß. Und ganz nebenbei hat es dazu geführt, dass unsere Zusammenarbeit mit den Unternehmen heute viel partnerschaftlicher, viel langfristiger ausgelegt ist und wir im permanenten Austausch in der Frage stehen, was wir gemeinsam planen möchten.
Welche Rolle spielt Big Data im Jahr 2024 in der aktuellen Marktforschungspraxis?
Big Data ist kein neues Thema in der Marktforschung. Allerdings setzen sich die Kunden heute viel ernsthafter mit ihrem Datenbestand auseinander und sie suchen nach Wegen, wie sie ihre Daten zentral zusammentragen und in alle Richtungen auswerten können. Wo es früher separate PowerPoints und Excel-Tabellen mit einzelnen Studienergebnissen gab, möchte man heute eine zentrale und effiziente Verwaltung und Steuerung aller erhobenen Daten. Schön übersichtlich strukturiert, sodass man jederzeit Daten gezielt zusammenstellen kann, um sie seinen Stakeholdern zu präsentieren. Eine coole neue Entwicklung sind Modern Data Stacks: Eine sinnvoll strukturierte Datenbank, in der Fachbereiche wie die Marktforschung die Hoheit haben, alle Daten zu verknüpfen und mit wenigen Klicks zu analysieren.
Wie sieht es mit dem Einsatz von KI in der Marktforschung aus?
KI-Verfahren nutzen wir in der Marktforschung bereits seit mehreren Jahren, um in unseren Daten, auch bei großen Textmengen, nach bestimmten Mustern zu suchen. Neu sind Textgeneratoren wie ChatGPT, die im letzten Jahr auch unsere Arbeitswelt erobert haben. Ich bin der festen Überzeugung, dass diese Tools viel ändern werden, in der Art und Weise, wie wir arbeiten und dass wir hier noch lange nicht am Maximum dessen angekommen sind, was geht.
Und was denkst du wie sich der Einsatz in der Branche 2024 entwickeln wird?
Grundsätzlich wird das ein super Jahr für KI. Was ich in Gesprächen häufig wahrnehme, ist, dass der Blick sehr technologiezentriert ist. Der Impuls ist alles in Chat GPT reinzukippen und dann zu schauen, was dabei rauskommt. Das kann in einiger Enttäuschung enden. Deshalb werden wir in einigen Monaten viel mehr darüber sprechen, welche Use-Cases es gibt. Also welches Problem möchten Unternehmen eigentlich lösen? Und dann wird dafür eine KI-Lösung entwickelt.
Wie nutzt ihr bei SKOPOS aktuell KI in eurer Berufspraxis?
Wir unterteilen das Thema KI bzw. KI-Tools aktuell in zwei Ebenen. Das eine ist reine Prozesseffizienz, also einzelne Arbeitsschritte, die wir von der KI übernehmen lassen, um unsere Arbeit ein wenig zu beschleunigen gegenüber der manuellen Arbeit. Die zweite Ebene ist deutlich spannender: Nämlich die Frage, welche neuen Geschäftsmodelle können durch KI entstehen und welche neuen Lösungen können wir Unternehmen dadurch anbieten? Hier testen wir derzeit viel mit unseren Kunden.
Kannst du ein konkretes Beispiel für den Einsatz von KI oder Big Data in aktuellen Marktforschungsprojekten nennen?
Wir haben relativ früh angefangen, Textanalysemodelle zu entwickeln, die KI-basiert sind. Für einen Kunden, der im Jahr so zwei bis drei Millionen Kunden-Feedbacks aus ganz unterschiedlichen Quellen verarbeitet, haben wir extra ein Verfahren entwickelt, das diese Feedbacks automatisch kategorisiert und in Themen-Cluster verwandelt. So kann unser Kunde einfacher mit ihnen arbeiten.
Um auch noch die Brücke zu Big Data zu schlagen: Hier haben wir angefangen, Prognosemodelle zu entwickeln. So können wir für unsere Kunden Voraussagen treffen, wie sich die Absätze ihrer Produkte entwickeln unter Berücksichtigung gewisser Faktoren wie Saisonalität, Regionalität, Inflationsentwicklungen uvm. Ein stark vereinfachtes Beispiel: Wenn im Süden Deutschlands die Sonne scheint, gehen mehr Menschen in die Biergärten. Dadurch steigt der Absatz für Helles.
Gibt es weitere innovative Methoden oder Ansätze, die die Marktforschungsbranche in Zukunft einsetzen wird?
Wir sind immer angetrieben von der Frage: Mit welchen neuen Methoden können wir Muster erkennen, die wir bisher nicht erkannt haben?
Interessante, neue Wege sehen wir im Bereich Emotionsforschung, um die Wirkung von Werbung noch besser zu verstehen. Dabei spielt KI auch hier eine Rolle. Grundätzlich ist für uns alles spannend, das uns hilft, Widersprüche zu erkennen zwischen Gesagtem und Gedachten. Dazu gehört auch der Blick auf Befragungsdaten – also den Äußerungen und Meinungen einerseits, und dem tatsächlichen Verhalten über Abverkaufsdaten & Co. Hier liegen bei unseren Kunden immer größere Datenschätze.
Also müssen wir uns in der Markt- und Sozialforschung langfristig auf Maschinen einstellen?
Bestimmt nicht. Sie werden eine hilfreiche Ergänzung sein, aber es wird weiterhin unbedingt Menschen in der Markt- und Sozialforschung brauchen. Die ganze Marktforschungsbranche wird insgesamt einfach deutlich technologischer. Es gibt viele große Software-Anbieter, die die EINE große Plattform liefern wollen, über die alles gesteuert werden kann. Über die man auf sämtlichen Kanälen Menschen befragen kann. In die auch alle Infos aus dem Kundensupport hineinfließen und analysiert werden. Eine Plattform, die über Stimmenanalyse erkennt, wenn jemand emotional wird. Das wäre natürlich der Traum vieler unserer Kunden.
Gleichzeitig entwickelt sich bei mir aber auch der Wunsch nach einem Gegentrend, weg von der großen Distanz zu den Befragten, die die Technologien schafft, hin zu einer Markt- und Sozialforschung, die menschlicher, persönlicher ist und die die befragten Personen in der Tiefe versteht. Die Menschlichkeit ist unser großer Vorteil und kann nicht von KI übernommen werden. Das spüren wir auch als Dienstleister in der Marktforschung. Unsere Beratungsleistung wird heute immer stärker nachgefragt als alles andere. Abseits dieses sich immer schneller drehenden KI-Hypes bedarf es anscheinend immer noch viel menschlich gedachter Orientierung bei Unternehmen. Eine ernst gemeinte Beratung und Begleitung, die Maschinen nicht leisten können.
Danke Sebastian für diese Einblicke!
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