Verteilungsbericht 2023
Armut gefährdet die Demokratie
Berlin den 27. November 2023 – Die Verbreitung von Armut in Deutschland nimmt kontinuierlich zu, so der neue Verteilungsbericht 2023 der Hans-Böckler-Stiftung. Die Verfasser*innen der Studie warnen vor Auswirkungen auf die Demokratie.
Ein geringeres Vertrauen in demokratische Institutionen zeigt sich bei Menschen mit niedrigem Einkommen im Vergleich zu jenen mit höherem Einkommen, so der „Verteilungsbericht 2023“ der Hans-Böckler-Stiftung. Die Verfasser*innen der Studie identifizierten eine klare Korrelation zwischen der Höhe des Einkommens und dem niedrigen Vertrauen in staatliche sowie demokratische Institutionen.
Wenig Vertrauen in die Politik
Der Studie zufolge haben über 47 Prozent der Menschen, die fünf Jahre oder länger in Armut (Definition unter „Immer mehr Menschen leben in Armut“) leben, sowie knapp 40 Prozent der temporär in Armut lebenden Menschen haben nur ein begrenztes Vertrauen in den Bundestag. Hingegen äußern etwa 30 Prozent der Personen mit mittleren Einkommen ein geringes Vertrauen in den Bundestag, während es bei den Einkommensreichen nur knapp 19 Prozent waren.
Eine erhebliche Distanz gegenüber Politiker*innen wird der Studie nach von einer Mehrheit der Armen e geäußert: Gut 58 Prozent der dauerhaft Armen und fast 54 Prozent der temporär Armen geben an, in Politiker*innen nur geringes Vertrauen zu haben. Gegenüber Parteien empfinden dies 56 Prozent der dauerhaft Armen beziehungsweise 54 Prozent der temporär Armen. Allerdings äußern knapp die Hälfte der Menschen mit mittleren Einkommen in beiden Fällen ebenfalls erhebliche Skepsis. Nur bei den Einkommensreichen genießen Parteien sowie Politiker*innen bei einer soliden Mehrheit von rund 63 Prozent größeres oder großes Vertrauen.
Geringes Vertrauen macht anfällig für Rechtspopulismus
In Bezug auf das Vertrauen in die Polizei oder das Rechtssystem zeigt sich laut der Studie ein ähnliches Muster: Unter den Einkommensreichen gibt es nur wenige – deutlich unter zehn Prozent -, die beiden Institutionen wenig oder gar nicht vertrauen. Im Gegensatz dazu äußern knapp 22 Prozent der dauerhaft Armen wenig Vertrauen in die Polizei und fast 37 Prozent haben Misstrauen gegenüber dem Rechtssystem. „Ein geringes Vertrauen in Institutionen macht Menschen anfälliger für rechtspopulistische Einstellungen“, warnt Bettina Kohlrausch, die Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.
Immer mehr Menschen leben in Armut
Deutlich zugenommen hat laut den Forschenden die Einkommensarmut in Deutschland. Im Jahr 2022 lebten fast 17 Prozent der Menschen in Deutschland in Armut und etwa zehn Prozent sind sogar sehr arm. Im Jahr 2010 lagen die entsprechenden Quoten bei 14,5 beziehungsweise knapp acht Prozent. Die Fachleute definieren dabei als arm jene Menschen, deren Haushaltsnettoeinkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens in Deutschland beträgt. Jene, die weniger als 50 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben, gelten als besonders arm. Das entspricht für einen Singlehaushalt einem Haushaltsnettoeinkommen von maximal 1.200 beziehungsweise 1.000 Euro im Monat. Als wohlhabend gelten Menschen, die mehr als das Doppelte dieses Betrags zur Verfügung haben. Der Anteil der wohlhabenden Haushalte schwankte in den vergangenen Jahren laut der Studie um etwa acht Prozent.
Methodik:
Der Bericht basiert auf zwei unterschiedlichen Datenquellen. Zur Analyse der Einkommensungleichheit wurden Daten des Mikrozensus aus der amtlichen Sozialberichterstattung des Bundes und der Länder (Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 2023) verwendet. Der Mikrozensus liefert Informationen zur Verteilung der Monatseinkommen in Deutschland bis zum Jahr 2022, basierend auf der jährlichen Befragung von etwa 800.000 Personen. Die Befragung findet Online, telefonisch oder per Papierfragebogen statt. Für die Darstellung der Alltagsrealitäten von Menschen wurden in verschiedenen Einkommensklassen auf Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) für das Jahr 2021 (Welle v38) zurückgegriffen, für das rund jedes Jahr rund 15.000 Haushalte interviewt werden, und das aktuell bis 2021 reicht. Die Datenerhebung bei SOEP geschieht sowohl über Online und Telefon durch Kantar Public.
Weitere Infos hier: https://www.boeckler.de/de/pressemitteilungen-2675-studie-armut-ist-risiko-fur-demokratie-53417.htm
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