Vom Fragebogen bis zum fertigen Produkt
Interview mit Branchenexpertin Ute Wetzlar
Was schätzt du, wie viele Tests notwendig sind, bis ein fertiges Produkt im Regal steht? Wir haben mit einer gesprochen, die es wissen muss und die in 30 Jahren Berufstätigkeit in der Markt- und Sozialforschung schon die verrücktesten Produkttest begleiten durfte – von der ersten Frage auf dem Fragebogen bis zum fertigen Produkt im Supermarktregal. Ute Wetzlar vom Marktforschungsinstitut QuoVadis erklärt uns im Schnelldurchlauf, wie vielen Tests ein Produkt unterzogen werden sollte bis es auf dem Markt eingeführt werden kann.
Die Challenge: du möchtest ein Shampoo auf den Markt bringen. Es existieren aber bereits drölfzig Shampoosorten, die Flasche an Flasche aufgereiht auf fünf Metern Regallänge stehen. Wie schaffst du es, deine Zielgruppe auf dein Shampoo aufmerksam zu machen und die Kaufbereitschaft für dein Shampoo zu wecken?
Damit die Kaufentscheidung nicht allein vom Zufall abhängt, solltest du dein Shampoo im Vorfeld zahlreichen Produkttests unterziehen und dir gründlich Gedanken zu deinen Käufern und ihrem Käufernutzen machen. Wie das geht und welche Schritte untersucht werden sollten, erklärt uns jetzt Ute Wetzlar.
Frau Wetzlar, ich bin Hersteller von Pflegeprodukten und habe eine Idee für eine neue Shampoo-Marke, die ich gerne lancieren möchte. Wie gehe ich vor?
UW: Zuallererst möchtest du vermutlich herausfinden, wie gut die Chancen für deine Produktidee am Markt stehen. Dafür beauftragst du in der Regel ein Marktforschungsinstitut. Das Institut ermittelt wie die Verkaufsprognosen für dein Shampoo sind. Immerhin soll es unter circa hundert anderen Shampoo-Sorten im Regal hervorstechen. Was erstmal nach Utopie klingt, gelingt durchaus mittels guter Marktforschung und ausgiebigen Produkttest vor der Markteinführung.
Das heißt, ich muss erstmal eine Marktanalyse durchführen?
UW: Ganz genau. Der erste Schritt ist eine Konzept-Analyse, die Klarheit zu allen grundlegenden Fragen rund um dein Produkt und deine Marke bringt. Anhand dieser Analyse können Marktforschungsinstitute schon frühzeitig Tendenzen erkennen und Erkenntnisse ableiten, die dir als Hersteller helfen, die Kaufwahrscheinlichkeit für das Produkt zu erhöhen.
#1 Konzept-Analyse: Welche Fragen sind zu klären?
UW: Bei der Konzept-Analyse wird in der Regel eine große Anzahl an Testpersonen befragt, um Antworten auf die folgenden Fragen herauszufinden:
- Wie ist das Markenumfeld der Marke?
- Wer ist die Zielgruppe für das Produkt?
- Welche Produkte sind direkte Wettbewerbsprodukte?
- Wie kann sich das Produkt von ihnen abheben?
#2 Produktname: Was muss ich bei der Wahl des Namens beachten?
UW: Liegen die Ergebnisse zu Zielgruppe und Wettbewerb aus der Konzept-Analyse vor, kannst du als Hersteller gezielt passende Produktnamen entwickeln. Aber auch diese sollten genaustens geprüft werden. Nicht nur markenschutzrechtlich, sondern auch auf Klang, Bedeutung und Wirkung. Natürlich werden auch zur Namenstestung Befragungen durchgeführt, bei denen wir herausfinden wollen:
- Wie wirkt der Markenname überhaupt bzw. welcher Produktname passt zum meinem Produkt und zu meiner angestrebten Zielgruppe?
- Welche Assoziationen lösen die möglichen Namen aus?
- Lösen sie wirklich auch die Assoziationen aus, die sie auslösen sollen?
- Wie gut funktioniert der Name in der Aussprache?
- Lässt er sich leicht und gefällig aussprechen?
- Ist der Produktname einprägsam, passend und bleibt im Kopf?
Das ist nur eine grob vereinfachte Auswahl möglicher Fragen. In der Praxis sind die Befragungen sehr viel kleinteiliger und detaillierter. Was Hersteller dabei immer beachten müssen: Nur weil die Zielgruppe ihr Produkt in der Befragung gut findet, heißt das nicht automatisch, dass eine Nachfrage dafür besteht. Deshalb sollte in der Konzept-Analyse immer auch das Interesse an dem Produkt selbst, die Kaufwahrscheinlichkeit und die Motive für einen Kauf abgefragt werden.
#3 Kaufverhalten & Kaufmotivation: Wie kann ich beides ermitteln?
UW: Wie gerade erwähnt, gehören diese beiden Punkte noch zur grundlegenden Arbeit der Konzept-Analyse, weil sie uns wichtige Erkenntnisse für die tatsächliche Kaufbereitschaft und Kauffrequenz liefern. Hier fragen wir die Testpersonen:
- Würdest du das Shampoo kaufen?
- Ist das Shampoo so hochwertig, dass du es auch als Geschenk für jemand anderen kaufen würdest?
- Wie oft kaufst du ein neues Shampoo?
- Was sind deine Kriterien bei der Auswahl eines Shampoos?
- Wechselst du gerne und probierst immer neue Shampoos aus oder bis du deinem Shampoo treu?
#4 Produkteigenschaften: Sind sie eher Top oder Flop?
UW: Ergibt die Studie bis hierher, dass das neue Shampoo einen guten Absatzmarkt finden wird, gehen wir einen Schritt weiter und starten umfangreiche Produkttest mit Testpersonen. Wir testen das Produkt auf seine Eigenschaften und seine Qualität. Wir wollen von den Testpersonen wissen, wie sie die folgenden Kriterien bewerten:
- Geruch des Shampoos: Zu intensiv? Zu schwach? Zu süß?
- Qualität: Hält das Shampoo, was es verspricht?
- Konsistenz: Zu flüssig? Zu fest? Zu heterogen?
- Farbe: Zu blass? Zu kräftig? Zu unappetitlich?
- Haltbarkeit: Wie lange blieb das Shampoo in seinem Idealzustand ab der Abfüllung?
#5 Produktdesign: Wie kann mein Produkt aus der Masse hervorstechen?
UW: Ein ansprechendes Produktdesign ist einer der entscheidendsten Punkte für ein spontane Kaufentscheidung. Deswegen möchten unsere Auftraggeber herausfinden, ob das Design ihrer Shampoo-Flasche unsere Testpersonen anspricht und welche Designs bevorzugt werden. Hier spielen Optik, Haptik und – je nach Produkt – auch Akustik eine Rolle. Also führen wir in Teststudios oder am Point of Sale Tests durch, bei denen wir die Probanden zu folgenden Punkten befragen:
- Gefühl: Wie fühlt sich das Produkt in der Hand an?
- Farbigkeit: Lieber Farbfeuerwerk oder ein ruhiges, cleanes Design?
- Form: Eher schlanke, längliche Shampoo-Behältnisse oder bauchige, kleine?
- Handling: Lässt es sich (auch mit nassen Händen) gut halten, öffnen und ausdrücken?
- Verschlüsse: Welche Verschlüsse werden bevorzugt? Schraubverschlüsse, Klickverschlüsse, Klappenverschlüsse)
- Einzigartigkeit: Sticht mein Produkt in „artfremden“ Behältnissen positiv und stärker auf, z.B. wenn ich Elemente aus anderen Bereichen ins Produktdesign einfließen lasse (Milchpackung, Schraubgläser usw.)?
#6 Regalposition: Wie beeinflusst die Platzierung meines Produkts das Kaufverhalten?
UW: Definitiv. Am besten lässt sich diese Frage durch Beobachtung und Befragungen im Teststudio oder auch direkt am Point of Sale im Supermarkt oder Drogeriemarkt beantworten. Nur dort können wir testen, welchen Einfluss die Positionierung im Regal hat. Wir untersuchen:
- Bei welcher Platzierung wird das Shampoo am häufigsten entdeckt und gekauft?
- Was passiert, wenn es weiter oben oder unten im Regal steht?
- Wenn es zentral oder eher am Rand positioniert ist?
#7 Preisgestaltung: Was darf mein Produkt kosten? Was ist meine Zielgruppe bereit zu zahlen?
UW: Für die meisten von uns spielt der Preis eine entscheidende Rolle für die Kaufentscheidung. Marktforschungsinstitute machen Preisabfragen undermitteln, wie hoch die Preisbereitschaft innerhalb der Stichprobe ist und zu welchem Verkaufspreis das Shampoo marktfähig ist.
#8 Produktwerbung: Wie hebe ich mein Produkt prägnant und unverwechselbar hervor?
UW: Produkt, Preis und Point of Sale sind getestet – fehlt nur noch das Marketing. Bevor dein Produkt auf den Markt kommt und auf den verschiedensten Kommunikationskanälen beworben wird, testen Marktforschungsinstitute auch noch die Werbekampagne für das Produkt. Wird aus der Werbung ersichtlich,
- Welchen Vorteil der Kunde/die Kundin durch das Produkt hat?
- Was das Produkt kann und weshalb es gekauft werden soll?
- Ist die Werbung ansprechend gestaltet?
- Passt die Ansprache zur angestrebten Zielgruppe?
- Werden die Werbebotschaften leicht vermittelt?
- Ist sie eingängig und bleibt im Kopf?
- Hebt sie sich von anderen Kampagnen ab oder ist sie verwechselbar?
#9 Packaging & Unboxing: Wie wichtig ist das Erlebnis?
UW: Unboxing hat in Zeiten des wachsenden Online-Shoppings stark an Bedeutung gewonnen und wird gerade von Influencer*innen auf Social Media regelrecht zelebriert. Pakete mit neuen Produkten werden unter großem Hallo geöffnet, die darin liegenden Inhalte entdeckt und deren Anwendung erklärt. Damit das Unboxing zum (positiven) Erlebnis wird, testen wir mit Testpersonen:
- Wie gefällt die (Versand-)Verpackung?
- Wie gut lässt sich das Produkt auspacken?
- Sind alle Bestandteile des Paketinhalts leicht zu finden und zusammenzuführen?
- Ist die Gebrauchsanweisung verständlich aufbereitet?
Gerade bei technischen Produkten sollte ein durchdachtes Packaging inklusiv übersichtlich gestalteter Unterlagen angestrebt werden. So vermeidet man, dass es bei der Inbetriebnahme des Produkts zu Unzufriedenheit bei Kund*innen kommt.
Fazit: Unterm Strich muss ich also sehr viele Parameter abfragen, damit ich mein Shampoo erfolgreich auf den Markt bringen kann?
UW: Die Antwort lautet: unbedingt. Je mehr Informationen im Vorfeld gewonnen werden können, umso besser kannst du dein Angebot auf deine Kunden zuschneiden und umso erfolgreicher wird der Absatz sein. Wir stellen in der Praxis oft fest, dass Auftraggeber ohne Marktforschungserfahrung die Komplexität dieser Aufgabe unterschätzen. Allerdings zahlt die Investition in eine fundierte Markteinführung auf einen langfristigen Erfolg des Produkts ein.