Was wäre ohne MaFo?
Welche Rolle spielt MaFo in Politik, Wirtschaft und Sozialleben?
Genau das haben wir Dr. Roland Abold gefragt, Geschäftsführer von infratest dimap. Als langähriger Akteur der Marktforschungslandschaft in Deutschland kennt er die Zusammenhänge von Markt- und Sozialforschung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wie kaum ein Zweiter.
Lieber Roland, blicken wir erstmal auf die Rolle von Mafo in der Politik.
Was sagst du zu dem Vorwurf, dass Politik zu sehr auf Umfragen setzt und sich damit abhängig macht von mutmaßlichen Stimmungen?
Die politischen Akteure schauen sehr genau auf die aktuellen Umfragen zur politischen Stimmung in Deutschland. Da politische Wahlen nur alle vier oder fünf Jahre stattfinden, ist dies der einzig verlässliche Kanal, um in der Zwischenzeit repräsentative Informationen bspw. zu Zustimmungswerten und Meinungen oder Wünschen in der Bevölkerung zu aktuellen politischen Themen zu erhalten.
Bekommen Umfrageergebnisse in Wahlkampfzeiten eine zu große Eigendynamik?
In Wahlkampfzeiten geben Umfragen sowohl für die Politik als auch für die Wähler und Wählerinnen eine Orientierung, wie die politische Stimmungslage aktuell ausfällt und wie erfolgreich der Wahlkampf der Parteien von statten geht. Eine zu große Eigendynamik würde ich hier nicht generell erkennen, da es sowohl den politischen Akteuren aber auch den Wählerinnen und Wählern freisteht, Umfragen in Betracht zu ziehen oder zu ignorieren.
In allen Fällen ist es jedoch wichtig, dass die Umfragen nach den gängigen Regeln und Standards der Meinungsforschungsbranche durchgeführt werden und bei der Veröffentlichung alle relevanten Informationen mitgeliefert werden (Wie wurden die Befragten ausgewählt? Wie wurde gefragt? Was wurde gefragt? usw.).
Kommt es dadurch möglicherweise zu einer Überbewertung von Trends in Prozenten?
In der Wahlforschung gibt es eine Reihe von Theorien, wie sich die wahrgenommene politischen Stimmung (bspw. in Umfragen) auf die spätere Wahlentscheidung auswirkt. Am bekanntesten ist hier die sogenannte „Schweigespirale“. Danach verfallen Personen, die sich mit ihrer Meinung als Minderheit wahrnehmen, in Schweigen, wodurch sich die wahrgenommene Mehrheitsmeinung als tatsächliche Mehrheit durchsetzt.
Daneben gibt es auch sogenannte Mitleidseffekte bspw. mit Parteien, die in Umfragen schlecht abschneiden oder auch den Effekt, unbedingt den späteren Sieger wählen zu wollen. Allerdings zeigen zahlreiche Untersuchungen, dass diese Effekte, so sie denn tatsächlich auftreten, nur in bestimmten Konstellationen wirksam werden und sich dabei teilweise gegenseitig aufheben.
Liefern Umfragen Prognosen oder eher Momentaufnahmen?
Umfragen sind immer nur Momentaufnahmen der politischen Stimmung zu einem bestimmten Zeitpunkt. Da die Wahlentscheidungen von den Bürgerinnen und Bürgern oftmals sehr spät getroffen werden (im Extremfall erst bei der Briefwahl oder direkt im Wahllokal) liefern Vorwahlumfragen niemals exakte Prognosen. Die einzigen tatsächlichen Wahlprognosen in Deutschland sind die 18 Uhr-Prognosen in der Wahlberichterstattung von ARD und ZDF, die per Nachwahlbefragung direkt in den Wahllokalen ermittelt werden.
Kommen wir zur Rolle der MaFo in der Wirtschaft.
Können A/B-Tests auf Facebook und Instagram hier teilweise schon MaFo-Arbeit übernehmen, wenn es um den Test von Werbekampagnen geht?
Es gibt sehr gute Ideen und Anwendungsfälle, in denen Entscheidungen in Unternehmen auf der Basis von Tests und Experimenten (wie die genannten A/B-Tests) oder über die Analyse von vorhandenen Daten (bspw. Daten aus der Kundendatenbank) getroffen werden können. Das spart im besten Fall Zeit und Geld.
Allerdings betrifft dies oftmals eher kurzfristige und taktische Entscheidungen (Welches Werbemotiv funktioniert besser? Soll ein Artikel besser 2 Euro oder 1,99 Euro kosten?). Geht es allerdings um langfristige und weitreichendere strategische Entscheidungen (Wie soll meine zukünftige Markenstrategie aussehen? Welche neuen Produkte soll mein Unternehmen in den nächsten Jahren anbieten?) ist und bleibt ein breiter und objektiver Blick auf die Märkte mittels Marktforschung unerlässlich.
Wer wissen möchte, wie eine Welt ohne MaFo aussähe, dem empfehle ich diesen kurzen Clip: https://youtu.be/NpvOe7Foc8U
Zum Schluss möchten wir mit dir erfahren, wie wir als Gesellschaft von der Sozialforschung profitieren. Was würde fehlen bzw. wäre anders ohne Sozialforschung?
Gerade während der Corona-Zeit hat sich eindrucksvoll gezeigt, welche Bedeutung verlässliche und korrekte Daten für die Gestaltung von politischen Maßnahmen und des gesellschaftlichen Miteinanders haben. Zu Beginn der Pandemie mussten die politisch Verantwortlichen weitreichende Entscheidungen ohne verlässliche Datengrundlage treffen.
Genauso wie die Unternehmen in der Privatwirtschaft haben zwar auch die staatlichen Akteure Zugriff auf eine Reihe von vorhandenen Daten (bspw. aus der amtlichen Statistik). Allerdings gilt auch hier, dass nur mit Hilfe der Sozialforschung ein komplettes Bild der relevanten gesellschaftlichen Trends und Veränderungen ermittelt werden kann. Indem sie beispielsweise Eltern und Kinder danach befragt, wie sich die psychische Gesundheit und Lebensqualität der Kinder während und nach der Pandemie entwickelt hat.
Die Sozialforschung kann so effektiv Probleme und Chancen identifizieren und auch dabei helfen mögliche Lösungen und politische und gesellschaftliche Maßnahmen zu erarbeiten.