„Wie hätten Sie gerne Ihr Toilettenpapier?“
Interview mit UX-Researcher Florian Tress über die kuriosen Weiten der Marktforschung
Als alter MaFo-Hase gibt es eigentlich nichts, was er nicht schon erlebt hat. Die skurrilsten Studienanfragen, die kuriosesten Studienergebnisse und außergewöhnliche Studienteilnehmer*innen. Heute plaudert er bei uns aus dem Nähkästchen und teilt die ungewöhnlichsten Rückblicke seiner Berufslaufbahn mit uns: Senior UX-Researcher Florian Tress von SKOPOS NOVA.
Lieber Florian, du bist seit mehr als einem Jahrzehnt in der Marktforschung tätig und hast die Entwicklung der Branche von früheren postalischen Abfragen bis ins heutige Zeitalter der Online-Forschung erlebt. Erklär uns kurz: Was genau macht ein UX-Researcher?
UX steht für User Experience. Das heißt, wir untersuchen Produkte, die neu auf den Markt kommen sollen darauf, wie Endnutzer*innen sie „erleben“ und was sie von der Bedienbarkeit eines Produktes erwarten. Die Erkenntnisse aus unseren Tests geben wir an unsere Auftraggeber aus verschiedenen Branchen weiter, damit sie sie in die Designprozesse für ihr Produkte oder ihre Software einfließen lassen können.
Wir testen viele Prototypen, die es noch nicht auf dem Markt gibt, schauen, ob sie gut ankommen oder nicht, ob und wie man sie noch weiterentwickeln kann. Die Palette reicht von digitalen Produkten wie Webseiten oder Online-Konfiguratoren bis hin zu physischen Produkten wie Schleifpapier, Spülmaschinen oder Automobile. Dabei kommen immer wieder auch verrückte Anfragen oder auch überraschende Studienergebnisse vor.
Kannst du uns Beispiele für außergewöhnliche Studien geben?
Klar, es gibt definitiv einige Aufträge, die in meiner Erinnerung herausstechen, weil sie so besonders waren.
Blümchen oder Raute? Wie hätten Sie gern Ihr Toilettenpapier?
Diese Studie war wohl das Skurrilste, was ich je getestet habe. Dem Auftraggeber, einem Hersteller von Toilettenpapier, ging es darum, herauszufinden, welches Präge-Design auf seinem Toilettenpapier am attraktivsten für Nutzer*innen ist. Eigentlich völlig absurd, da es viel entscheidendere Kauffaktoren für Toilettenpapier gibt als das Prägemuster auf der Klorolle. Der Kunde war aber überzeugt davon, dass sein Toilettenpapier die richtige Farbe und das richtige Muster haben muss, damit es seine Kund*innen überzeugt.
Lange Mähne = mehr Sex?
Als zweites Beispiel ist mir diese PR-Studie im Gedächtnis geblieben. PR-Studien sind eigentlich immer gut für überraschende Erkenntnisse, da sie nicht in Auftrag gegeben werden, um etwas zu erforschen, sondern weil sie das Ziel haben, Marketing-Botschaften zu untermauern, um pressewirksam lanciert werden zu können. Ich erinnere mich konkret an eine Studie für einen Hersteller von Extensions, für den ich drei Fragen entwickeln sollte. Die Zielgruppe waren Frauen. Rund tausend Frauen wurden befragt: Wie alt sind Sie? Wie lang sind Ihre Haare? Wie häufig haben Sie Sex?
Ziel des Auftraggebers war es, mithilfe der Studie seine Werbeaussage darauf auszulegen, dass man als Frau mit langen Haaren mehr Sex hat. Tatsächlich belegte die Studie, dass Frauen mit kurzen Haaren seltener Sex haben als Frauen mit langen Haaren. Der Zusammenhang ergab sich aber eher aus dem Alter der Frauen als aus ihrer Haarlänge, da ältere Frauen häufig kürzere Haare tragen als jüngere Frauen.
Ne halbe am Morgen und nichts bleibt verborgen
Für einen großen Hersteller von Schleifsystemen ging es mal ins bayerische Hinterland. Ich musste zahlreiche Handwerksbetriebe abklappern, um für den Werkzeughersteller herauszufinden, wie Werkstätten eingerichtet sind und wie die Arbeitsabläufe der Handwerker*innen aussehen. Sowohl die Fahrt an sich, als auch die Besuche sind mir sehr im Gedächtnis geblieben. Vor allem, weil man teilweise schon am Morgen eine Halbe Bier angeboten bekam. Dies zusammen mit ausgiebigen Unterhaltungen über Schleifsysteme war definitiv eine skurrile Kombi.
Der perfekte Spülmaschinenkorb
Es gibt eigentlich nichts, das nicht getestet wird. So haben wir zum Beispiel innerhalb einer Woche für einen Auftraggeber getestet, welcher Spülmaschinenkorb sich am besten und angenehmsten mit Geschirr befüllen lässt. Dafür stellten wir für die Proband*innen verschiedene Prototypen an Spülmaschinen und haufenweise Geschirr bereit. Wir beobachteten, auf welche Weise die verschiedenen Körbe eingeräumt wurden, wieviel Geschirr in die einzelnen Maschinen hineinpasst und wie gut die Proband*innen mit den Geräten klarkamen.
Hast du auf Seite der Befragungsteilnehmenden auch schon Aha-Erlebnisse gehabt?
Absolut. Es gibt hin und wieder auch kuriose Begegnungen mit Befragungsteilnehmer*innen. Zum Beispiel, wenn sie sehr starken Dialekt sprechen. In einem Fall wollte ein großer Autokonzern Usability-Tests durchführen und hat für die Studienteilnehmer*innen Simultan-Übersetzer*innen engagiert, die Feedbacks direkt übersetzen sollten. Vereinzelt sprachen die Teilnehmer*innen mit derartig starkem Dialekt, dass die Übersetzer*innen an ihre Grenzen kamen und das Gesagte schlichtweg nicht übersetzen konnten.
Was wird im Bereich UX noch alles getestet, was wir Endverbraucher*innen oft nicht ahnen?
Als Endverbraucher*in stellt man sich ja gerne mal die Frage: „Was haben die Produktentwickler sich denn dabei bitte gedacht?!?“ Damit genau das nicht passiert, müssen akribische Produkttests durchgeführt werden. So machen wir es beispielsweise für Kunden aus dem Automobil-Bereich. Für sie testen wir alles, was digital oder physisch optimiert werden soll, also vom Online-Konfigurator bis hin zu Apps, mit denen man Fahrzeugdaten jederzeit vom Smartphone aus checken kann.
Wie leicht lässt sich der Radiosender wechseln während der Fahrt?
Wir prüfen zum Beispiel, ob die Bord-Elektronik nutzerfreundlich verbaut ist. Das geschieht meistens im Fahrsimulator, wo Proband*innen testen, ob sie während der Fahrt den Radiosender einfach wechseln können, ohne einen Unfall zu bauen. Fahrsicherheit ist für jedes neue Design- und Technik-Gadget das oberste Gebot. Jede noch so kleine Leuchte, die hinzukommt, muss in vielen peniblen Abnahmeschleifen des TÜVs bestehen. Ereignen sich bei den Tests im Fahrsimulator zu häufig Unfälle, wird das Auto für den Straßenverkehr nicht zugelassen.
Wie muss ein Auto-Cockpit eingerichtet sein?
Für einige Tests ist es am hilfreichsten, wenn wir uns während einer Testfahrt zu den Proband*innen ins Auto setzen und sie während ihrer Fahrt einfach beobachten. Dabei stellen wir z. B. fest, dass die Fahrer*innen das Handy in den Getränkehalter stecken, beziehungsweise im Getränkehalter eigentlich alles mögliche steckt, nur keine Getränke. Hieraus kann der Hersteller schlussfolgern: Wir brauchen einen Handyhalter im Auto und dies bei der Entwicklung zukünftiger Fahrezeuge berücksichtigen.
Klingt die Autotür billig?
Auch Geräusche sind ein wichtiger Teil der der Produktentwicklung. Bleiben wir beim Beispiel Fahrzeuge geht das so weit, dass Hersteller akribisch daran arbeiten, wie die Geräusche ihres Fahrzeugs klingen sollen, um die Qualität des Fahrzeugs akustisch zu unterstreichen. Hier wird getestet, ob sich das Zuschlagen einer Auto- oder Kofferraumtür dumpf, scheppernd oder gar billig anhört. Ob das Blinkergeräusch nervig, zu laut oder unangenehm klingt. Die Fahrzeug-Designer*innen und Entwickler*innen justieren dann so lange, bis wir Produktforscher*innen in unseren Tests bestätigen: Jetzt klingt‘s richtig hochwertig.
Danke Flo, für diese Einblicke. Dein Abschlusswort zum Thema Kuriositäten der Marktforschung?
Wichtig ist zu wissen: Marktforschung geht über die reinen Bedürfnisse und Vorlieben der Verbraucher*innen hinaus. Sie dient auch dazu, ungewöhnliche Kuriositäten zu erforschen und neue Wege zu gehen. Von unkonventionellen Geschmacksrichtungen über auffällige Verpackungsdesigns bis hin zu innovativen Werbekampagnen und Produkterfahrungen – die Marktforschung ermöglicht es Unternehmen, ihre Angebote auf einzigartige und interessante Weise zu gestalten.
Wenn wir in den kommenden Monaten oder Jahren einige ungewöhnliche Marktforschungsverfahren sehen, können wir uns sicher sein, dass dahinter ein Unternehmen steckt, das hart daran arbeitet, ein besseres Produkt zu schaffen.